Erfolgsgeschichten

Arbeitslust im ländlichen Co-Working-Space: Das Angebot von Coconat vor den Toren Berlins

Im Naturpark Hoher Fläming gibt es Damhirsche, Rotwild und Europäische Mufflon, mittelalterliche Burgen, den historischen Stadtkern von Bad Belzig - und eine gute Anbindung nach Berlin. Was man, trotz des letzten Punktes, hier nicht vermutet, ist ein Co-Working- und Co-Living-Space. Doch seit 2017 hat sich der Gutshof in Klein Glien, sechs Kilometer von der Bahnstation in Bad Belzig und neunzig von Berlin entfernt, in einen Ort verwandelt, an den Menschen konzentriert, weg von Zuhause, in Kontakt mit der Natur aber nicht alleine arbeiten.

Amerika, Vietnam, Berlin, Brandenburg

Wer hat den Mut, ein solches Business zu gründen? Hinter Coconat, der Name wurde gebildet aus „community and concentrated work in nature“, stehen 4 Gründerinnen und Gründer und ein Team von insgesamt fast 20 Menschen. Den Beginn dieser bemerkenswerten Geschichte festzumachen ist nicht einfach, die Amerikanerin Julianne Becker, eine der vier Gründer, legt ihn nach Vietnam. Dort lernte sie vor über 10 Jahren Janosch Dietrich, heute Vater ihrer zwei Töchter, und Iris Wolfer kennen. Alle drei waren in Projekten engagiert, die die Welt zu einem besseren Ort machen sollten. Becker drehte damals Filme für das WWF und leitete Kommunikationskampagnen. Als nächste Station in ihrem Leben schwebte ihr Europa vor. Iris Wolfer lebte in Berlin und sagte, komm doch da hin. Janosch Dietrich lebte ebenfalls in Berlin. Julianne Becker zog in die deutsche Hauptstadt und begann in Projekten der Start-up-Szene zu arbeiten. Eines war ein Co-Working-Anbieter, auch die PR der Social-Media-Week gehörte zu ihren Aufgaben. Beide bestens in der Kunst- und Digitalszene vernetzt, stellten Becker und Dietrich 2012 fest, dass sie ein eigenes Unternehmen gründen wollten. Zusammen mit zwei Partnern, die heute nicht mehr an Bord sind, entstand die Grundidee zu Coconat: Co-Working, Co-Living und Workation (verreisen, um sich zu erholen und zu arbeiten) – im Umland von Berlin. Denn sie hatten erfahren, wie gerne die Städter immer mal wieder ihrer steinernen Umgebung entflohen und auf dem Lande Ruhe und Konzentration suchten.

Erst lernen, dann gründen

Was 2012 mit einer Idee begann und 2017 zur Gründung führte, bei der neben Julianne Becker und Janosch Dietrich noch Philipp Hentschel und Iris Wolfer (genau, Vietnam) dabei waren, und was heute, im Sommer 2020, ein trotz Corona-Krise stabiles Social Business darstellt, ist entstanden über einen beispielhaft ausdauernden Weg, sein Geschäftsmodell zu entwickeln, zu erproben und umzusetzen. Ebenso bemerkenswert ist es, wie konsequent sich die Gründerinnen und Gründer dabei öffentliche Hilfe geholt haben. Es startete mit dem Brandenburger Beratungsprogramm für Gründer, „Innovation braucht Mut“. 2014 und 2016 nahmen sie dann am EU-Fördertag teil, den das Enterprise Europe Network Berlin-Brandenburg (EEN) veranstaltete. Das EEN unterstützte sie in der Folge bei der erfolgreichen Antragstellung für das Programm „Erasmus for Young Entrepreneurs“. Es ermöglichte Julianne Becker und Janosch Dietrich in Frankreich von einem bereits erfolgreichen Pariser Co-Working-Space zu lernen.

Den richtigen Ort finden

Herausfordernd gestaltete sich die Suche nach dem richtigen Ort für Coconat. „Anfangs wollten wir etwas in der Mitte zwischen Berlin und Hamburg, ganz ruhig gelegen aber mit einem Bahnhof um die Ecke. Und architektonisch schön sollte es natürlich auch sein“, listet Julianne Becker die Kriterien auf, mit der sie sich auf zahlreiche Ausflüge begaben. Nach vielen Besichtigungen wurde klar, dass alles zugleich nicht zu haben war. Man fand schließlich einen Ort westlich von Berlin, und mit Hilfe einer Crowdfounding-Kampagne bei VisionBakery und ehrenamtlichem Engagement konnte man dort im Sommer 2015 einen einmonatigen Testlauf durchführen. Coconat in der Erprobung: Kommt jemand? Wer kommt? Sind die Kunden zufrieden? Es wurde ein Erfolg. Von den Zielgruppen, die den jungen Entrepreneuren vorschwebten, waren alle als erste Kunden vertreten: Studierende, die Start-up-Szene, Angestellte, Freelancer. Doch der Standort hatte einen zentralen Haken: eine schlechte Internetverbindung. Also begann die Suche wieder von vorne. Vielleicht hätte man aufgegeben, wären nicht kurze Zeit später auf der Grünen Woche in Berlin, auf der Coconat seine Idee präsentierte, gleich zwei Menschen auf sie zu gekommen, die ihnen vom Gut Glien bei Bad Belzig erzählten. Bis vor kurzen war es ein Hochzeitshotel, jetzt suchte die Stadt einen Käufer mit einem überzeugenden Projekt. „Für mich waren die Gebäude, die alle bestens in Schuss und gut ausgestattet waren, und das Gelände Liebe auf den ersten Blick. Und dann gab es auch noch High-Speed-Internet“, berichtet Julianne Becker. 2017 eröffnet Coconat offiziell seine Tore. Heute wird es ziemlich genau so genutzt, wie man es sich vorgestellt hatte. 75 Prozent der Besucherinnen und Besucher sind aus Berlin. Sie kommen, um ein Projekt zu erledigen. Aber auch international etabliert sich Coconat, die ganze Kommunikation ist auf Deutsch und Englisch, was nötig ist, um auf der weltweiten Landkarte der Co-Working- und Workation-Spaces präsent zu sein. Auch hier hat nochmals das EEN geholfen, mit einem Kooperationsprofil, auf das sich 24 Unternehmen aus Europa gemeldet haben, die das Business interessiert. Im Frühjahr 2020 fand zudem ein internationaler „Investment Readiness Workshop“ bei Coconat statt, den das EEN mit dem EU Projekt CAST und dem Cluster Tourismus Brandenburg organisierte. Im Workshop wurde bearbeitet, wie junge Unternehmen ihren Business Case weiterentwickeln und das Pitch Deck für internationale Investoren vorbereiten. Doch der Blick von Coconat geht nicht nur nach Berlin und in die weite Welt. „Wir wollen kein UFO hier sein, sondern uns mit der Region verbinden und uns mit ihr zusammen entwickeln“, betont Becker. Man engagiert sich im Verein „Smart Village“, das Dorffest von Klein Glien findet auf dem Gelände statt und samstags treffen sich Digitale Nomaden und Nachbarn beim Pizzaessen. Der Blick in die Ferne und DEUTSCHLAND | Berlin-Brandenburg nach nebenan, kreative Visionen und eine bodenständige Umsetzung, Netzwerkarbeit und das Nutzen von Angeboten, die die Fördereinrichtungen von Berlin-Brandenburg und der EU bieten: Dies sind nur einige der Faktoren, mit denen man begründen kann, warum vier Weltenbummler im Hohen Fläming eines der innovativsten Co-Working-Projekte Deutschlands stemmen können.